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Prof. Gregor Paul über Falun-Gong
2004-04-29 00:00

Im Gespräch mit WELT online sprach der Karlsruher Philosoph und Präsident der Deutschen China-Gesellschaft, Prof. Gregor Paul über Falun-Gong

WELT online: In den vergangenen Tagen haben Menschenrechtler aus China den Tod von 15 Anhängern der Falun-Gong-Bewegung in einem Arbeitslager gemeldet. Die Falun Gong erklärte, dass sie nach Folter starben. Chinas Regierung verbreitete, es habe sich um Selbstmorde gehandelt. Welche Aussage ist glaubwürdiger?
Gregor Paul: Gegenüber den Informanten ist Skepsis angebracht, sowohl, was die offiziellen Stellen in China angeht, als auch gegenüber den Aussagen der Falun Gong selber. Ebenso verhält es sich mit Menschenrechtsbüros, die möglicherweise unter dem Einfluss gewisser, auch amerikanischer Interessen stehen. Allein die Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch erscheinen mir glaubwürdig. Insbesondere die USA folgen doppelten Standards. Sie prangern Verletzungen der Menschenrechte in China an, aber nicht in Saudi-Arabien, ein Land, dessen Missachtung der Menschenrechte kürzlich auch der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff angesprochen hat. Dennoch können Vorwürfe gerechtfertigt sein.
WELT online: Was spricht also für Selbstmord und was für staatlich veranlassten gewaltsamen Tod?
Paul: Falun Gong ruft nicht zum Selbstmord auf. Aber vor Monaten kam es jedenfalls zu öffentlichen Selbstverbrennungen mehrerer Anhänger. Sie hatten eine aggressive Kampagne der chinesischen Medien zur Folge, die die Schuld Falun Gong und deren Führer Li Hongzhi zuschrieben. Die Reaktion nach den Toten im Lager war vergleichsweise zurückhaltend. Dies spricht eher gegen Selbstmorde. Andererseits ist es sehr unwahrscheinlich, dass 15 Menschen gleichzeitig Folteropfer wurden.
WELT online: Sie halten Foltermorde in chinesischen Lagern also für unmöglich?
Paul: Dies ist nicht unmöglich. Aber der koordinierte Versuch der Umerziehung durch Folter erschiene mir als Ausdruck einer schwer nachvollziehbaren politischen Dummheit. China will auch nach außen hin eine gute Figur machen und hat sich nach Ansicht unabhängiger Beobachter der Menschenrechtsdiskussion geöffnet.
WELT online: Warum will die chinesische Regierung Anhänger der Falun Gong in Lagern umerziehen?
Paul: Fast alle sinoasiatischen, insbesondere die konfuzianisch geprägten Gesellschaften haben einen für uns Westeuropäer zum Teil unergründlichen Erziehungsoptimismus propagiert. Umerziehungslager bedeuten freilich Verschiedenes: leichtere körperliche Arbeit, Schulung, Lesungen, Zwang zur Selbstkritik bis hin zu Formen, die wir als entwürdigend bezeichnen würden. Zum Teil kaschiert das Wort wohl auch Einrichtungen, die wir als Gefängnisse, Straflager, Zwangsarbeitsanstalten bezeichnen würden. Dabei dürfte auch Folter vorkommen.
WELT online: Was befürchtet die chinesische Regierung von Falun-Gong-Anhängern?
Paul: Falun Gong und insbesondere Li Hongzhi lehren, dass es wichtiger sei, sich an Falun-Gong-Doktrinen zu orientieren als den Auffassungen von Staat und kommunistischer Partei zu folgen. Grob gesagt, propagiert Falun Gong eine Letztorientierung an einer überstaatlichen, quasi transzendenten Instanz. Dies ist aus traditioneller sinoasiatischer Sicht vielleicht die politische „Todsünde“ überhaupt; gefährdet sie doch, wie man meint, politische Macht und soziopolitische Ordnung wie nichts sonst. Deshalb konnte der Aufmarsch von rund 10.000 Anhängern in Peking im Jahr 1999 den Machthabern auch als Beleg für Angriffe dienen.
WELT online: Und wie äußert sich Falun Gong sonst politisch?
Paul: Die Volksrepublik verletze die Norm der Religionsfreiheit. Dieser Vorwurf aus den Reihen der Anhänger ist politisch. Falun Gong hat sich bemüht, den Anführer der Bewegung, Li, für den Friedensnobelpreis zu nominieren. Auch dies ist eine politische Aktion. Und bereits die Tatsache, dass Li in den USA lebt, hat aus chinesischer Sicht politische Konnotation.
WELT online: Was lässt sich über die Organisation der Falun Gong sagen, und wie bekennen sich Mitglieder?
Paul: Anhänger verteilten während der Kampagne zur Nominierung Lis für den Friedensnobelpreis Konvolute in deutschen Universitäten. Bei einem Vortrag unserer Gesellschaft im Juni über Falun Gong waren Anhänger aus Köln und Frankfurt dabei, die Bedenken äußerten, als der Vortragende kritisch zur Bewegung Stellung bezog. Sie verkünden die Lehre über einen Wust von Internetseiten und Verlautbarungen wie das Buch von Li Hongzhi. Mitglieder treten bei Veranstaltungen zu Falun Gong auf. Sie werben und verteilen Broschüren und Handzettel. Vollgültiger Anhänger ist, wer von Meister Li in die Gemeinschaft aufgenommen worden ist. Dies geschieht meistens ohne persönliche Begegnung, denn Li besitzt angeblich übernatürliche Kräfte. So setzt er per Telekinese das Falun, das Gesetzesrad, in den Unterbauch eines Mitglieds ein.
WELT online: Ist Falun Gong nun Organisation, religiöse Bewegung oder Sekte?
Paul: Sie vertritt Auffassungen, die logisch inkonsistent sind, Naturgesetzen widersprechen und sich nicht empirisch bestätigen lassen. Falun Gong bezieht die indische Kharma-Lehre mit ein. Darin liegt ein gefährliches Moment. Die Kranken und die Armen sind Opfer eigener Übeltaten in früheren Existenzen. Ich würde von Sekte reden, weil die Bewegung dem Absurden, Grotesk-Irrationalen verhaftet ist. Der Anspruch auf Alleinbesitz der Wahrheit und glühendes Bekennertum erzeugen sektentypische Abgrenzung.
WELT online: Sie sagen, Falun Gong grenze sich deutlich ab. Andererseits bezeichnet sie sich als Massenbewegung mit 40 Millionen Mitgliedern allein in China.
Paul: Für viele ist Falun Gong ein Angebot, sich mit einer Selbstwert bestätigenden Instanz zu identifizieren. Dabei sind ihm eigene Elemente aus dem Qigong gymnastische Übungen aus früheren therapeutischen Ansätzen, die jedoch als irgendwie heilsrelevante Kultivierungen der materiellen Energie des Lebens verstanden und gepriesen werden. Falun Gong ist auch populären Formen des Taoismus verpflichtet, die in China stets Anklang gefunden haben, weil sie ein langes Leben versprachen, und weil sie suggerierten, übernatürliche Kräfte zu vermitteln.
WELT online: Das deutet auf fehlende Bildung der Anhänger oder Modernisierungsfeindschaft.
Paul: Ich gehe davon aus, dass der Großteil der Anhänger in China zu den weniger Gebildeten und finanziell weniger Glücklichen gehört. Dies sind die Opfer eines Manchester-Kapitalismus, in dem das Heer der Arbeitslosen und Wanderarbeiter wächst und die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Damit einher geht der Verlust sozialer Sicherung und traditioneller Familienstrukturen. Viele sind außerdem Opfer eines Sinnverlustes, der schließlich im Ende des Maoismus gipfelte. Andererseits gibt es auch intelligente und erfolgreiche Anhänger von Li.
WELT online: Wieso glauben diese gebildeteren Kreise an Falun Gong?
Paul: Wie intelligentere Katholiken, Muslims und Juden wählen sie vermutlich einen Ausweg: Was in den maßgebenden Texten steht, ist nicht so wörtlich zu nehmen. Sie wissen, wie diese Werke zustande gekommen sind und betrachten eine gewisse logische Konsistenz als notwendiges Kriterium der Wahrheit. Wir haben also zwischen verschiedenen Formen der Anhängerschaft zu unterscheiden. Die Differenzierung zwischen verschiedenen Interpretationen als Weg, verschiedensten Menschen eine Anhängerschaft zu ermöglichen, hat übrigens in buddhistischen Schulen eine 2000jährige Tradition.
WELT online: Inwieweit sind die staatstragenden Eliten in China bereits unterwandert?
Paul: Meines Wissens sind auch einige Kader in Lager eingewiesen worden. Die chinesische Seite betont, dass es keinen Anlass gebe, den Einfluss zu dramatisieren. Das klingt nicht ganz glaubwürdig, da die Regierung massiv gegen Falun Gong vorgeht. Ich neige aber dazu, die kolportierten Mitgliederzahlen für zu hoch zu halten. In China haben sich die Eliten so gut wie nie massiv religiösen oder transzendenten Glaubenslehren angeschlossen, wenn es auch einzelne Kaiser und einzelne hohe Beamte gab, die ihrem Einfluss erlagen.
WELT online: Was kann diese Bewegung folglich in China nach Ihrer Ansicht noch erreichen?
Paul: Ich bin überzeugt, dass Falun Gong in China über kurz oder lang keine führende politische Rolle spielen wird. Politik und Polizei gelingt es zunehmend, die Bewegung einzudämmen und zu kontrollieren. Dabei bedienen sich die Machthaber freilich auch solcher Mittel, die nicht zu billigen sind.
WELT online: Soll ein Land, das Menschenrechte verletzt, die Olympischen Spiele 2008 ausrichten?
Paul: Grob gesagt, waren die Chinesen wahrscheinlich noch nie so frei und die Lebensqualität in China noch nie so hoch wie heute. Die Menschenrechtssituation hat sich auch laut unabhängiger Organisationen verbessert. Der Hintergrund: Sieben bis neun Prozent wirtschaftliches Wachstum pro Jahr sind notwendig, um das Land nicht in eine sozial-politische Katastrophe zu stürzen. Es ist nicht zuletzt Egoismus des Staates, den Weg des Fortschritts, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit weiter zu gehen. Die Olympiade dürfte dabei als Katalysator wirken.

Die Welt online (http://www.welt.de/daten/2001/07/13/0713au267594.htx )

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